Eine furchtlose, streitbare und zugleich hoffnungsvolle Meditation über das Chaos
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Alanis Morissettes drittes Album war poetisch und geradlinig, zynisch und idealistisch, sarkastisch und hellsichtig. „Jagged Little Pill“ folgte nach zwei Teeniepop-Platten, die in ihrer Heimat Kanada die Top 40 erreichten. Das Album ist furchtlos konfrontativ und kritisiert Katholizismus, Technologie und knabenhafte Männer auf eine Art, die seitdem nur wenige Künstler:innen wagten. Als Alanis Morissette die Platte veröffentlichte, war sie 21 Jahre alt und ein ehemaliger Nickelodeon-Star, ihr vorheriges Label hatte sie kurz zuvor gedroppt. Ihre unversöhnliche Weltsicht traf den Nerv der Zeit und bot gleichzeitig ein Maß an Offenheit und Verletzlichkeit, das den Weg für Generationen zukünftiger Singer-Songwriterinnen ebnete, wie etwa Taylor Swift und Olivia Rodrigo.
„Ich weiß noch, wie ich mir sagte, dass ich nicht aufhören würde zu schreiben, solange ich es von ganzem Herzen liebe.“
Hinter den radiotauglichen Hooks und den funkelnden Harmonien des Albums verbergen sich Beobachtungen über die Unordnung und Banalität des Lebens. Die menschliche Schwäche ist ein Thema – in „All I Really Want“ ist Morissette abgelenkt, in „Head over Feet“ vom Glück verwirrt. Doch auch wenn der Kern des Albums Desillusionierung sein mag, sein Vermächtnis ist ebenso die Hoffnung; die Idee, dass Bluten, Schreien und Lernen letztlich auch Leben bedeutet. Vielleicht ist das der Grund, warum Morissette trotz all der Angst und Wut relativ freundlich zu sich selbst ist. Im lässigen „Hand in My Pocket“, einer Zeitkapsel voller Zigaretten und Taxis, verzeiht sie sich selbst, dass sie nicht alles im Griff hat.